6. Oktober 2024

8 | Natrium chloratum

1898 | Dr. med. Wilhelm Heinrich Schüßler über die Charakteristiken der biochemischen Mittel:

Kochsalz.

Das Wasser, welches als Getränk und mittels der Speisen in das Verdauungsrohr eingeführt worden, tritt durch die Epithelzellen der Schleimhaut in das Blut, und zwar durch Vermittelung des in den genannten Zellen und im Blute enthaltenen Kochsalzes, welches bekanntlich die Eigenschaft hat, Wasser anzuziehen.

Das Wasser hat die Bestimmung, alle Gewebe, resp. Zellen zu durchfeuchten.

Jede Zelle enthält Natron. Mit diesem verbindet sich nascirendes Chlor, welches vom Chlornatrium der lntercellularflüssigkeiten abgespalten worden ist.

Das in der Zelle durch die erwähnte Verbindung entstandene Chlornatrium zieht Wasser an. Demzufolge vergrößert sich die Zelle und theilt sich.

Nur auf solche Weise können Zellentheilungen behufs Zellenvermehrung sich vollziehen.

Bildet sich in den Zellen kein Kochsalz, so bleibt das für sie bestimmte Durchfeuchtungswasser in den Intercellularflüssigkeiten. Demzufolge entsteht eine Hydrämie. Die betr. Kranken haben ein wässerig gedunsenes Gesicht; sie sind matt und schläfrig und zum Weinen geneigt. Sie sind frostig, leiden an Kälte der Extremitäten und verspüren ein Kältegefühl längs des Rückgrats. Dabei haben sie ein großes Verlangen nach Salzgenuß. (Die kochsalzarmen Zellen schreien nach Kochsalz.) — Das Kochsalz, welches sie in verhältnißmäßig großen Mengen genießen, heilt ihre Krankheit nicht, weil die Zellen Kochsalz nur in sehr verdünnter Lösung aufnehmen können.

In Intercellularflüssigkeiten vorhandener Kochsalz-Ueberschuß kann bewirken, daß die betr. Kranken häufig einen salzigen Geschmack empfinden (Reizung des Nervus glossopharyngeus und des N. lingualis) und daß pathologische Secrete der Schleimhäute oder wunder Hautstellen ätzend sind (Salzfluß).

Das in den gesunden Epithelzellen der serösen Säcke functionirende Kochsalz regelt den Durchtritt von Wasser aus dem arteriellen Blute in die genannten Säcke. Eine Functionsstörung der betr. Kochsalz-Moleküle hat einen Erguß von Wasser in die Säcke zur Folge.

Wird die genannte Störung mittels minimaler Kochsalz-Gaben therapeutisch ausgeglichen, so werden dadurch die Zellen befähigt, das ergossene Wasser zu resorbiren.

Eine Störung in der Bewegung der Kochsalz-Moleküle des Epitheliums der Thränen- oder der Speicheldrüsen hat Thränen- resp. Speichelfluß zur Folge.

Ist ein Reiz, welcher einen Dentalzweig des Trigeminus getroffen hat, durch Vermittelung secretorischer Fasern des Sympathicus auf die Epithelzellen der Speicheldrüsen übertragen worden, mit der Wirkung, daß in den genannten Zellen die Funktion der Kochsalzmoleküle gestört ist, so entsteht ein Zahnschmerz mit Speichelfluß.

Die Epithelzellen der Schleimhaut des Darmrohres vermitteln vermöge ihres Kochsalzes den Eintritt des als Getränk genossenen Wassers in das Blut der Pfortaderzweige. Eine Störung ihrer Funktion durch einen fremdartigen Reiz hat eine umgekehrte Strömung zur Folge. Es tritt Blutwasser in das Darmrohr; demzufolge entsteht ein wässeriger Durchfall. Hat der Reiz auch die Schleimzellen des Darms getroffen, so entsteht ein wässerig-schleimiger Durchfall.

Das Mucin der Schleimzellen tritt als glasiger, durchsichtiger Schleim an die Oberfläche. Haben die Schleimzellen zu wenig Kochsalz und zu wenig Mucin, so ist die naturgemäße Schleimabsonderung unter die Norm herabgestimmt.

Von dem in den Epithelzellen der Labdrüsen enthaltenen Kochsalz wird durch die Massenwirkung der im Blute enthaltenen Kohlensäure Chlor abgespalten; das freigewordene Natron verbindet sich mit der Kohlensäure und diese Verbindung gelangt in’s Blut, während das abgespaltene Chlor, mit Wasserstoff verbunden und in Wasser gelöst, als Salzsäure in den Magen gelangt. — Wenn bei Mangel an Kochsalz in den Epithelzellen der Labdrüsen keine Salzsäure sich bildet, so vermehrt sich der von dem Oberflächen-Epithel der Magenschleimhaut abgesonderte alkalische Schleim: es entsteht ein Magenkatarrh, eventuell mit Schleimerbrechen.

In Folge einer bedeutenden Störung der Kochsalz-Funktion kann Blutserum in den Magen transsudiren; dann entsteht Wasserbrechen (Wasserkolk).

Hat eine Parthie Zellen, die unter der Epidermis sich befinden, kein Kochsalz, so können sie das für sie bestimmte Wasser nicht aufnehmen; dasselbe wölbt die Epidermis bläschenförmig empor. Der Inhalt der Bläschen ist wasserhell.

Aehnliche Bläschen können in Folge einer ähnlichen Ursache auf der Augenbindehaut entstehen.

Es können gleichzeitig, doch örtlich verschieden, verminderte, resp. vermehrte Absonderungen in Folge gestörter Kochsalzfunktion vorkommen; z. B. Magenkatarrh mit Erbrechen von Wasser oder Schleim, dabei gleichzeitig Stuhlverstopfung, wegen verminderter Schleimabsonderung im Dickdarm.